In den Schatten des Vesuvs: Künstliche Intelligenz und das Geheimnis antiker Texte
Als der Vesuv im Jahre 79 n. Chr. ausbrach, begrub er die Städte Pompeji und Herculaneum unter einer dicken Schicht aus Asche und Gestein. Durch diese tragischen Ereignisse wurden jedoch auch viele kulturelle Schätze konserviert, darunter eine Vielzahl antiker Schriftrollen, die bis heute das Interesse der Wissenschaft wecken. Die Herausforderung, diese Schriftrollen zu entziffern, erweist sich als ein aufregendes Abenteuer für Forscher und Technologie gleichermaßen, besonders in einer Zeit, in der künstliche Intelligenz (KI) neue Möglichkeiten eröffnet.
Die Herculanensischen Papyri – benannt nach der Stadt Herculaneum – stellen ein einzigartiges kulturelles Erbe dar. Sie wurden 1752 entdeckt und geben Aufschluss über die Literatur und Philosophie der Antike. Doch die Versuche, diese Rollen zu lesen, waren lange Zeit von begrenztem Erfolg gekrönt, da die Tinte ähnliche Eigenschaften wie das verkohlte Papyrusmaterial aufweist und somit für traditionelle Lesemethoden nahezu unsichtbar bleibt.
Die Rettung kommt in Form von künstlicher Intelligenz. Ein Team um den Informatiker Brent Seales von der University of Kentucky hat in den letzten Jahren bahnbrechende Arbeit geleistet, indem es hochauflösende CT-Scans der Rollen anfertigte. Diese Scans enthüllen die dreidimensionalen Strukturen der Texte, die mit Hilfe von KI-Modellen analysiert und interpretiert werden können.
Ein besonders bemerkenswerter Fortschritt wurde im Rahmen des Wettbewerbs "The Vesuvius Challenge" erzielt. Zwei Informatikstudenten, Luke Farritor und Youssef Nader, gelang es, mithilfe eigens trainierter KI-Modelle einzelne Buchstaben und sogar ein erstes Wort auf den röntgentomografischen Aufnahmen einer verkohlten Schriftrolle aus Herculaneum zu erkennen. Dieser Erfolg deutet darauf hin, dass es möglich sein könnte, die gesamten Texte der Papyri zu rekonstruieren und somit einen unermesslichen Schatz an Wissen zu heben.
Die Studenten gingen sorgfältig vor, indem sie die schwachen Signale der Tinte von den Mustern des Papyrus unterschieden und mit Hilfe von Mustererkennung die griechischen Buchstaben herausarbeiteten. Ihre Arbeit ermöglichte es, etwa fünf Prozent der gesamten Schriftrolle zu entschlüsseln, was in der Wissenschaftswelt als großer Durchbruch gefeiert wurde.
Die bisher entschlüsselten Passagen scheinen von dem epikureischen Philosophen Philodemus zu stammen und bieten Einblicke in seine Gedanken über Musik, Essen und die Freuden des Lebens. Zwar sind noch viele Fragen offen, doch die Wissenschaftler sind zuversichtlich, dass weitere Texte entziffert werden können – vielleicht sogar verlorene Werke von Aristoteles oder Homer.
Die Verwendung von KI in der Textanalyse antiker Schriften ist ein Paradebeispiel dafür, wie neue Technologien die Geisteswissenschaften bereichern können. Durch die Kombination von traditioneller Forschung und innovativen Ansätzen öffnen sich neue Horizonte für das Verständnis vergangener Kulturen.
Die Herculanensischen Papyri und die fortschreitende Technologie der künstlichen Intelligenz bieten eine spannende Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft. Während wir weiterhin die Geheimnisse der Antike lüften, erweitern wir unser Wissen und unsere Fähigkeiten, um die kulturellen Schätze, die uns unsere Vorfahren hinterlassen haben, zu bewahren und zu verstehen.
Bibliographie:
- Aisslinger, Moritz. "Ausbruch des Vesuvs: Der Schatz aus der Asche." DIE ZEIT, 17. Februar 2024.
- Ilina, Alexandra. "KI entschlüsselt verbrannte Schriftrollen aus der Antike." ingenieur.de, 07. Februar 2024.
- Lamm, Lisa. "Vesuvausbruch: KI macht verkohlte Schriftrollen aus Herculaneum lesbar." National Geographic Deutschland, 19. Oktober 2023.
- McGrath, Jenny, Nolan, Beatrice. "Studenten haben mit KI eine 2000 Jahre alte Papyrusrolle entschlüsselt – DAS steht darin." Business Insider Deutschland, 11. Februar 2024.
- Woll, John. "Beim Ausbruch des Vesuvs verschüttet: KI knackt antike Schriftrolle." WinFuture, 06. Februar 2024.